Eine verfluchte Republikanerin
Vor 170 Jahren bekundeten sechstausend Deutsche auf der Place du Carrousel in Paris dem französischen Volk begeistert ihre Solidarität, denn es hatte gerade den König verjagt. Zwei Wochen später zogen einige hundert als "deutsche demokratische Legion" Richtung Baden – in den Kampf für eine deutsche Republik. Unter ihnen die Seidenhändlertochter Emma Herwegh.
Frank Wedekind verknallte sich in sie, da war er Ende zwanzig, sie über siebzig. Der Schriftsteller besprach mit ihr seine Manuskripte, ließ sich mit Datteln verwöhnen und aus ihrem skandalösen Leben erzählen. Dabei rauchte sie Zigarre und konnte fluchen wie ein Pferdekutscher. "Wie schade, dass man ein solches Wesen nicht mehr heiraten kann", soll er einmal gesagt haben, "sie wäre die Richtige für mich." Die faszinierende alte Dame war Emma Herwegh.
1817 als Tochter eines reichen Berliner Seidenwarenhändlers zur Welt gekommen, gehörte sie eigentlich zur Hautevolee; Diplomaten, Gräfinnen, Hofbeamte, KünstlerInnen gingen bei ihren Eltern ein und aus. Doch inmitten dieser "Speichellecker" und "Windbeutel" kam sie um vor Langeweile. Heiratsanträge schlug sie aus. Sie wollte einen Demokraten, der wie sie an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit glaubte, und keine dieser "Zwitternaturen, halb liberal, halb royal, diese echten Schmarotzerpflanzen", die heute auf die Freiheit Polens und morgen auf den russischen Zaren anstießen. Mit 25 fand sie ihren Traummann, formulierte den Antrag gleich selbst und war binnen acht Tagen verlobt. Ihr Zukünftiger, der kurz darauf aus Preußen ausgewiesene politische Dichter Georg Herwegh, jubelte: "Das Mädchen ist noch rabiater als ich und ein Republikaner von der ersten Sorte."
1843 folgte sie ihm ins Schweizer Exil, wo die beiden – nachdem Zürich ihnen die Aufnahme verweigert hatte – im aargauischen Baden heirateten (mit Michael Bakunin als Trauzeugen). "Wir freuen uns", vermeldete damals die Aargauer Behörde, "durch diese Bewilligung den Beweis geben zu können, dass noch nicht alle Kantone der Schweiz der Spiesserei verfallen sind." Das Bürgerrecht verlieh ihnen die Gemeinde Augst im Kanton Baselland, was das Paar stolze 600 Franken kostete. Kurze Zeit später zog es sie jedoch weiter nach Paris, wo sich in ihrem Salon bald russische, deutsche, polnische und italienische Flüchtlinge trafen. Mit dem ebenfalls frisch verheirateten Ehepaar Jenny und Karl Marx zusammenzuziehen, hatte sie damals abgelehnt (sieben Jahre später sollte eine WG mit Alexander und Nathalie Herzen zu furchtbaren Verwicklungen führen).
Als im Februar 1848 der französische König verjagt wurde und eine Aufstandswelle über Europa hinwegrollte, war Emma Herwegh nicht zu halten: An der Seite ihres Mannes zog sie im März mit etwa 800 Freiwilligen der "deutschen demokratischen Legion" nach Straßburg, um die badische Freiheitsarmee zu verstärken. Als man dort vergeblich auf Nachricht von den Aufständischen wartete, reiste sie Mitte April als Kundschafterin nach Engen in den Hegau und traf dort deren Anführer Friedrich Hecker (in dessen Pläne die "Franzosen" allerdings nicht so recht passten).
Die Expedition – wie letztlich auch die Revolution – endete im Desaster. Die Legion wurde am 27. April 1848 bei Dossenbach im Kreis Lörrach geschlagen; dem "verfluchten Weib" samt Gatten gelang nur knapp die Flucht in die Schweiz. Nach dieser Niederlage blieb Emma Herwegh ihren Freiheitsidealen treu. Rastlos organisierte und warb sie – nun von Zürich aus und längst enterbt – für den Unabhängigkeitskampf Garibaldis; sie verhalf auch Felice Orsini, dem späteren Attentäter auf Napoleon III., mit in Buchdeckeln versteckten Feilen zu einem spektakulären Gefängnisausbruch. Ob er tatsächlich ihr Geliebter war, ist bis heute nicht erwiesen.
1904 starb die kämpferische "Hochverräterin" verarmt in Paris. Wunschgemäß wurde sie im schweizerischen Liestal, also "in freier Erde", neben ihrem Mann bestattet. Dort steht auch das Dichter- und Stadtmuseum, das die beiden mit einer Dauerausstellung ehrt.
© Brigitte Matern, erschienen in seemoz vom 19.03.2018